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Mit Erde bauen

Lebende Wurzelbrücke, Meghalaya, 1999. Foto: Anselm Rogers.

NATURNAHE BAUWEISEN

Die Klimakrise ist auch eine Krise der Materialität. Seit der Einführung von Beton als moderner Baustoff wird die Welt von Minute zu Minute grauer. Wie bei Plastik werden wir uns erst langsam seiner Gefahren bewusst. Warum wir mit Materialien bauen sollten, welche die Erneuerung des Lebens ermöglichen, nicht seine Erstarrung.

Von Colectivo Xinatli
Veröffentlich am 14. Mai 2021

In der Zeit, die es benötigt, diesen Satz zu lesen, wird die globale Bauindustrie mehr als 19.000 Badewannen mit Beton angerührt haben (The Guardian, 2018). In einem einzigen Jahr wäre die Masse an Beton ausreichend, um jeden Hügel und jedes Tal in einem Land von der Größe Ecuadors zu bedecken.

Nach Wasser ist Beton die am meisten genutzte Substanz auf Erden. Gebäude, Brücke, Dämme und Straßen. Wir gehen und fahren auf ihm. Viele von uns leben, schlafen und arbeiten in Mauern aus Beton. Der Baustoff ist zum Fundament des modernen Lebens geworden. Seine herausragende Stabilität verspricht, worauf es in wachstumsgetriebenen Wirtschaften ankommt: gebaute Kontrolle. Die Möglichkeit, Natur und Elemente zu zähmen. Doch Beton hinterlässt Wunden. Es ist eines der zerstörerischsten Materialien der Welt.

Allein die Herstellung von Beton verschlingt riesige Mengen an Energie. Wäre Beton ein Staat, stünde es bei dem Ausstoß an Kohlenstoff an dritter Stelle hinter China und den Vereinigten Staaten und wäre für etwa 8 % der weltweiten Emissionen verantwortlich (The New York Times, 2021). Außerdem trägt die Betonherstellung zu fast 9 % des weltweiten industriellen Wasserverbrauches bei und belastet somit die Trinkwasserversorgung. Gerade in Regionen, die in den kommenden Jahrzehnten von Dürren und Wasserarmut heimgesucht werden (Nature, 2018).

Außerdem trägt Beton in Ballungsräumen zum sogenannten Wärmeinsel-Effekt bei. Beton und Asphalt besitzen ein geringes Reflexions- oder Rückstrahlvermögen: Gebäude und Straßen schlucken Sonnenstrahlen, speichern die Sonnenenergie und geben die Wärme in die Luft wieder ab. Eine „Technologie“ würde das verhindern: Pflanzen. Sie spenden Schatten und kühlen. Ein ausgewachsener Laubbaum verdunstet an einem heißen Sommertag bis zu 400 Liter Wasser (BR, 2019). Hinzu kommt: Beton entfremdet uns von der Umwelt.  Wann sind Sie das letzte Mal barfuß in einer Stadt gelaufen?  










The Metropolitan Area Outer Underground Discharge Channel (Japanese: 首都圏外郭放水路), is an underground water infrastructure project in Kasukabe, Saitama, Japan. It is the world's largest underground floodwater diversion facility, built to mitigate overflowing of the city's major waterways and rivers during rain and typhoon seasons. Photo by Dddeco.

Auf Sand gebaut

Schleichend wirkt sich der Baustoff auch auf die psychosoziale Verfasstheit aus – und differenziert eine Kultur des Beton aus. „Beton ist mehr als ein Material. Es geht um Leben", behauptet die von Männern dominierte Global Cement and Concrete Association.

Das direkte Gegenteil ist der Fall. Im Gegensatz zum „Leben" unterliegt Beton nicht dem Rhythmus des Wachsens und Werdens. Beton verhindert den direkten Austausch und ermöglicht, sich von der natürlichen Welt abzuschotten. 

Seine Haupteigenschaft besteht gerade darin zu verhärten. Das Material schafft steinharte Strukturen und festigt somit vorherrschende Lebensweisen: Beton macht weite Teile des fruchtbaren Bodens zunichte, verstopft Flüsse, erstickt Lebensräume und macht unempfindlicher gegenüber aller Vorgängen, die sich außerhalb von urbanen Festungen abspielen. 

Menschen werden in einer Betonkultur dazu geformt, einen trennenden Bezug zur Mitwelt aufzubauen, Sicherheit und Kontrolle zu suchen, sich der Illusion hinzugeben, dass etwas ewig bestand hat. 

Zivilisationen, die einst mit der Natur verwoben waren, folgen dem Paradigma des Fortschritts und werden zu aufstrebenden Supermächten des 21. Jahrhunderts und zu Volkswirtschaften, die von BIP-Statistiken und Produktionsraten besessen sind. Diese Transformation erfordert Berge von Zement, Strände aus Sand und Seen aus Wasser. 

Beton ist in dieser Hinsicht ein Raubbau gegenüber jeglicher Zukunft, denn das Material nährt nicht das Potenzial für Übergänge oder ermöglicht ein Leben als Beziehung im Geflecht, das auf Austausch beruht. Stattdessen manifestiert der Baustoff Herrschaft und Hierarchie. Nicht umsonst wäre der Bau von Wolkenkratzern, die symbolischste Form hierarchischer Macht, ohne Beton gar nicht erst möglich. Wenn wir im Zuge der Erderwärmung wieder lernen müssen, mehr im Einklang mit der Natur zu leben, warum bauen wir dann so vehement gegen sie an?


Die Mutter aller Baumaterialien

Earth

Lehmbau.

Lehm hingegen würde Wandlung bedeuten. Ein Baumaterial, dass in vielen Sprachen schlicht Erde heißt. Mit Erde bauen, wäre das nicht ein ökologischer Schritt in die richtige Richtung? 

Lehm liegt allen zu Füßen, unter der Erde, als Humus, im Grunde als Bindemittel einer humanen, mehr als menschlichen Bauweise. Wenn ein Lehmbau abgerissen werden würde, könnte der Lehm wieder in Wasser löslich gemacht und in Kreisläufe rückgeführt werden. Lehm reguliert auf natürliche Weise Feuchtigkeit, lässt die Luft fließen, spart in heißen Ländern die Nutzung der Klimaanlange ein. Lehm ist die Mutter aller Baumaterialien, die Menschheit nutzt ihn seit der Sesshaftigkeit in allen Teilen der Welt. 

Bauen mit Lehm ist ökologisch sinnvoll, gilt aber in Teilen des globalen Nordens immer noch als instabil, primitiv und rückständig. Aber warum sollte es auf moderne Probleme der Erdzerstörung ausgerechnet moderne Lösungen geben?

Wir brauchen ökologische Formen des Bauens. Weg von der funktionalen, rationalen und industriellen Traditionen der westlichen Moderne hin zu den Bauweisen, die auf relationale Dimensionen des Lebens und den Reichtum des ortsgebundenen Wissens abgestimmt sind. 

"Die afrikanische Architektur sollte endlich aufhören, den Westen zu kopieren, sich auf die wirklichen Bedürfnisse der Menschen einstellen und die Umwelt berücksichtigen",  fordert etwa der Architekt Diébédo Francis Kéré, ein Verfechter der Lehmbauweise. 

Auch die Architektin Mariam Kamara löst sich von der vorherrschenden Norm, mit Beton bauen zu müssen und entwickelt eine Praxis, die in der reichen Baukultur Nigers verwurzelt ist und Antworten auf die sozialen, klimatischen und kulturellen Herausforderungen des Landes sucht. "Im Wesentlichen geht es darum, einfach zu schauen, wie wir in Niger leben", erklärt Mariam Kamara in einem Interview mit African Mobilities. 

Kamaras erstes Projekt, "Niamey 2000", wurde zusammen mit ihrem iranischen Kollegen Yasaman Esmaili realisiert: sechs zweistöckige Wohneinheiten für die Mittelschicht in der schnell wachsenden Hauptstadt Niamey – aus Lehmziegeln.

Lehmbauten machen dort Sinn und regulieren das Raumklima hervorragend; in einer Gegend, in der die Temperaturen auf bis zu 45 Grad steigen können. Die Fenster von "Niamey 2000" sind schmale Fensterschlitze. Erstens, zum Schutz vor der grellen Sonne und zweitens, weil Privatsphäre in dem muslimischen Land anders definiert wird. Die Innenhöfe, die zu den Wohnungen gehören, sind lichtdurchflutet und strahlen Offenheit aus.

 

Die ökologische Bauweise ortsgebundener Gemeinschaften

Mit Erde bauen, das ist nicht nur eine Frage des Materials, sondern einer Weltanschauung: In der traditionellen Behausung der Maya, dem xa'anil naj (Haus des Guano), formt das Blätterdach symbolisch einen Berg, die tragenden Holzpfeiler werden teilweise nicht verlegt, sondern gepflanzt. Die einzelnen Elemente werden nicht festgenagelt, verschraubt oder geklebt, sondern zusammengebunden. 

Ebenso unterscheidet sich die Auffassung von Eigentum, die Wahrnehmung des Ortes. Das Land, auf dem gebaut wird, gehört niemanden, alle gehören zum Land, das durch die Gemeinschaft fruchtbar gehalten wird.

read-

Aurelio Sánchez Suárez. Xa'anil naj. La gran casa de los mayas. 2018.

Die Lebensphilosophie des Maya-Hauses ist so umfassend wie seine Weltanschauung. Xa'anil naj ist ein hervorragendes Buch und eine Reflexion über das Maya-Haus als Kosmogramm.

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Vivienda-Yucatan
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Waffelgarten: Zuni Pueblo, New Mexico. Museum of New Mexico. Foto Jesse Nusbaum, 1911.

Eine zirkuläre Landwirtschaft trägt zum Erhalt der lebendigen Vielfalt und zur schonenden Erneuerung bei. Die Milpa ist ein Landwirtschaftssystem, das von den Maya seit vielen Jahrhunderten bis heute betrieben wird. Für eine Milpa sind die drei Pflanzen Mais, Bohne und Kürbis entscheidend, die gemeinsam angebaut werden und eine Symbiose bilden: Der Mais dient den Bohnen als Rankhilfe, die Bohnen wiederum liefern dem Mais Stickstoff, während die großen Blätter des Kürbisses den Boden bedecken und so Erosion durch Regen und Austrocknung verhindern. 

Die Milpa nutzt darüber hinaus einen fein abgestimmten Zyklus der schonenden Brandrodung, des Mulchens und Brachlegens, um die angestammte Rückkehr von vor Ort heimischen Pflanzen, Tieren und Pilzen (Biozönose) zu ermöglichen und den Boden fruchtbar zu halten. 

Die Gemeinschaft der Zuni entwickelte hingegen ein Bewässerungssystem aus Waffeln, das einen beträchtlichen Teil des Wassers einspart. In Tansania beherbergen die Kihamba-Waldgärten des Chagga-Volkes über 500 verschiedene Arten, die aufeinander abgestimmt sind. Diese Gärten werden nach ethischen Prinzipien angelegt, die auf Integration und Erneuerung ausgerichtet sind. 

Weitere Beispiele machen deutlich, wie man mit den Möglichkeiten vor Ort arbeitet. Im südlichen Teil des nordostindischen Bundesstaates Meghalaya sind Wurzelbrücken weit verbreitet, eine Art Hängebrücke, die aus lebenden Wurzeln von Bäumen über mehrere Jahrzehnte geformt wird.

Seit über 500 Jahren lässt der Monsun die Flüsse im bergigen Regenwald von Meghalaya zu reißenden Strömen anschwellen und schneidet die Dörfer von der Außenwelt ab. Also begann die Gemeinschaft der Khasi, die Wurzeln an den Ufern der Bäche so zu verflechten, dass im Laufe der Jahrzehnte stabile und breite Brücken entstanden, die sie trockenen Fußes überqueren konnten.

Diese Strukturen werden in der Regel mit zunehmendem Alter widerstandsfähiger und können Jahrhunderte überdauern. Sie halten regelmäßig Sturzfluten und Sturmfluten stand und sind eine kostengünstige und natürliche Möglichkeit, abgelegene Bergdörfer in steilem Gelände miteinander zu verbinden. So erinnern uns alle ökologischen Bauweisen daran, wie Gedeihen in Gegenseitigkeit möglich ist.


 

 

 

 

 

 

Ausschnitt Wurzelbrücke. Foto: Ahinsajain. CC-BY-SA]

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